Gießens Erstwähler von morgen
Gießens Erstwähler von morgen
Langsam wird’s ernst. In zwei Tagen wird der neue Bundestag gewählt. An 7210 Schulen in ganz Deutschland ist das schon geschehen – auch in Gießen. Seit Mittwoch hatten zum Beispiel die Jugendlichen der August-Hermann-Francke-Schule (AHFS) die Gelegenheit, schon einmal in den Wahlvorgang hineinzuschnuppern.
Seit 1999 finden die Juniorwahlen statt, die AHFS macht seit 2017 mit. Auch bei Landtagswahlen haben die Schüler schon abstimmen dürfen. In die tatsächlichen Ergebnisse fließt ihr Votum zwar nicht ein, weil die meisten Schüler noch nicht volljährig sind. Ein interessantes Stimmungsbild ergibt sich aber dennoch. Resultate einzelner Schulen werden gleichwohl nicht veröffentlicht, die bundesweiten Ergebnisse sind dann online unter juniorwahl.de einsehbar.
Für die Schüler mache dieses Prozedere die Wahl greifbarer, als wenn sie einfach nur an den Wahlplakaten vorbeilaufen, sagt Stefan Ulbrich. Der Lehrer für Politik und Wirtschaft koordiniert den Wahlvorgang an der christlichen Privatschule. Und um einen möglichst guten Eindruck davon zu bekommen, läuft alles möglichst realitätsnah ab. Die Schüler erhalten eine Wahlbenachrichtigung, die sie bei den Wahlhelfern abgeben müssen, bevor ihnen der Stimmzettel ausgehändigt wird. Vier Kabinen stehen zur Verfügung, um die Kreuzchen zu setzen, an der Urne in der Mitte des Raumes wird aufgepasst, dass immer nur ein Zettel abgeliefert wird. Beziehungsweise zwei – an der AHFS werden diesmal nämlich auch noch die neuen Vertrauenslehrer gewählt.
Am Mittwochvormittag betreten die Kinder aus der sechsten Klasse von Philip Walter aufgeregt das »Wahllokal«. Für sie hat der Unterricht im Fach Politik und Wirtschaft erst in diesem Schuljahr angefangen. Deshalb ging es für Walter im Vorfeld vor allem darum, ihnen zu vermitteln, was eine Demokratie überhaupt ist, wie sie im Kleinen und Großen funktioniert, wie eine Wahl abläuft und wie Erst- und Zweitstimmen zustandekommen.
Mit den einzelnen Parteien haben sich die wenigsten Sechstklässler im Vorfeld auseinandergesetzt. Schülerin Emilia ist in der Minderheit, als sie erzählt, sie habe sich die Debatten im Fernsehen angesehen. Worin jetzt alle jedoch Experten sind, ist beim Wahlvorgang selbst. »Ich habe das zunächst noch nicht ganz verstanden, nun weiß ich ungefähr, wie das geht. Und das ist sicher ein Vorteil, wenn man dann erwachsen ist«, meint Svea. In der Tat ist das nicht zu unterschätzen. Studien zeigen: Wer bei einer Juniorwahl mitgemacht hat, geht auch später öfter zur Wahl, befasst sich mehr mit Politik und regt vielleicht sogar auch die Eltern zum Mitmachen an. Das Wählen wird zur Selbstverständlichkeit.
In den höheren Klassen probiert Philip Walter gerne den Wahl-O-Mat aus. Hier setzen sich die Schüler schon deutlich intensiver mit den einzelnen Parteien auseinander. Die Neuntklässler etwa haben im Vorfeld je eine Partei im Detail vorgestellt. Für Hagen war das die FDP. Manche ihrer Ansichten findet er gut, andere nicht. Um sich weiter für die Juniorwahl vorzubereiten, hat er sich außerhalb des Unterrichts Wahlwerbung angeschaut. Plakate allein gäben oft nicht wirklich Aufschluss über die Standpunkte, man müsse sich noch zusätzlich informieren, unter anderem im Internet .
Und was ist den Schülern wichtig? Die Sechstklässlerinnen nennen Umwelt- und Tierschutz, außerdem wünschen sie sich mehr Sicherheit und sinkende Preise. Für Hagen stehen vor allem der Mindestlohn und die Schulpolitik im Fokus. Das den Wahlkampf beherrschende Thema Migration nennen die Schüler nicht.
Das Fazit, sich mit der »Sternstunde der Demokratie« schon einmal vertraut gemacht zu haben, fällt auf jeden Fall positiv aus. Elva und Taina aus der sechsten Klasse sind trotzdem froh, dass am Wochenende nur die Erwachsenen gefordert und sie selbst noch in der Beobachterrolle sind. Ginge es hingegen nach Hagen, würde er bereits bei der »richtigen Wahl« gerne an der Urne stehen. »Dann könnte ich auch selbst mitentscheiden, was die nächsten Jahre, bis ich 18 bin, passiert«, sagt er. Was bei der Bundestagswahl am Sonntag herauskommt, wollen die Schüler mit ihrem neu erworbenen Wissen zumindest ganz genau verfolgen.
Quelle: Gießener Anzeiger | L. Peter | 21.2.25
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